Auf dem Weg über dünnes Eis


Unmittelbar vor Weihnachten einigten sich Bundestag und Bundesrat auf ein Konzept, dessen Ausgestaltung, insbesondere soweit es Zuständigkeiten oder finanzielle Belastungen der Kommunen betrifft, erst jetzt erarbeitet oder sichtbar wird.

Ausgangspunkt dieser Entscheidungen war die jahre- und jahrzehntelange Entwicklung mit der Verschiebung der Finanzierung von Arbeitslosigkeit in den kommunalen Bereich in die Sozialhilfe.

Besonders das – und nicht so sehr die allgemeine Wirtschaftsentwicklung – hat die kommunalen Finanzen ruiniert, bis zum Schluss nichts mehr ging. Immer mehr stiegen Sozialhilfebelastungen, immer mehr im kreisangehörigen Bereich auch die Kreisumlagen wegen der Sozialhilfe und anderer sozialer Lasten.

So war es denn schon ein Erfolg, dass der Ansatz der letzten so genannten Gemeindefinanzreform die Gewerbesteuerreform und die Reform der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe umfassen sollte. Damit war erstmals öffentlich anerkannt, dass Soziallasten, soweit sie aus der Arbeitslosigkeit entstehen, in unserem Staatsaufbau vom Bund zu finanzieren sind, nicht von den Ländern und schon gar nicht von den Kommunen. Ein Gedanke, der festzuhalten gehört, wenn sich Kreise immer noch nach der Aufgabe samt Finanzierung drängeln (sollten).

Entsprechend fiel die Entscheidung auf der Bundesebene aus: Zuständig für das Arbeitslosengeld II an erwerbsfähige Arbeitslose ist der Bund, vertreten durch die Bundesagentur für Arbeit. Die Zuständigkeiten im Übrigen, z.B. für die Unterkunft, verbleiben bei den kommunalen Körperschaften.

Wenn es zu einem Optionsmodell, also dem Recht für kreisfreie Städte und Landkreise, die Aufgabenträgerschaft für sich zu reklamieren, kam, dessen fehlende Ausgestaltung derzeit auf der Bundesebene verhandelt wird, ist das mehr das Misstrauen der Politik. Ob die Bundesagentur, mit deren Arbeitsvermittlung man ja als Bundesanstalt über Jahre Erfahrungen hat, die erforderliche schnelle Mutation von der Anstalt zur Agentur schaffen wird, erscheint vielen fraglich. Positiver ausgedrückt: Die in der Sozialhilfe tätigen Städte, Landkreise und Gemeinden erschienen mit ihren Systemen, Organisationen und Maßnahmen zu „Arbeit statt Sozialhilfe“ erfolgreicher und flexibler, und das war ja auch wohl so. Und diese Erfolge sollte man als hohes Gut nicht aufgeben, rückgängig machen, einschlafen lassen oder gar verloren gehen lassen.

Nun könnte man sich natürlich fragen, ob die Erfolge bei „Arbeit statt Sozialhilfe“ mehr im städtisch-gemeindlichen Bereich oder mehr im Landkreisbereich erzielt worden sind. Einigen wir uns auf den kommunalen Bereich. Aber Erfolge hin oder her, Zuständigkeiten der Landkreise für die erwerbsfähigen Arbeitslosen werden aus dem kreisangehörigen Bereich nur mit erheblichen Vorbehalten und großem Misstrauen betrachtet. War diese auf Bundesebene ursprünglich angestrebte, originäre Zuständigkeit nicht von den Landkreisen dazu gedacht, dann unmittelbar Gläubiger einer kommunalen Steuer oder Steuerbeteiligung zu werden? Und das wäre auf Kosten der Städte und Gemeinden gegangen.

Diente die angestrebte Zuständigkeit nicht ursprünglich dem Ziel, die Landkreise in ihrem Bestand zu sichern? Motto: Bei einer so wichtigen Aufgabe kann bei einer Verwaltungsreform nicht wegrationalisiert werden? Dafür kommt die Optionsmöglichkeit jetzt zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt: Ist es vorstellbar, dass ein Landkreis, dessen Umlage inzwischen bis zum Äußersten angespannt ist, der ein Defizit im Haushalt hat, der vielleicht schon Bedarfszuweisungen beantragt, sich noch um eine solche Aufgabe bemüht?

Sicher, zu den gesagten Äußerungen auf der Bundesebene gehörte der vom allgemeinen Kreishaushalt streng getrennte Sonderhaushalt für das Arbeitslosengeld II. Das ist zu fordern und zu verlangen. Und ebenso geht die Aufgabenübernahme nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Verbandsgemeinden. Zurückhaltung und verbindliche Schutzmaßnahmen für die Kreisumlage sind jedenfalls angesagt.

Damit soll der bisherige größere Erfolg und Sachverstand aller kommunalen Sozialhilfebehörden – Kenntnis der Personen, der Verhältnisse vor Ort, der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten auf dem regionalen oder örtlichen Arbeitsmarkt - überhaupt nicht in Frage gestellt sein. Wenn Regionalagenturen organisiert werden und tätig werden sollen, kann man sich nur vorrangig die Kreise, die Städte, Gemeinden und Verbandsgemeinden als diejenigen, die das Personal stellen, und diejenigen, die Strukturen, Organisation und Maßnahmen – eben den Kurs vor Ort – bestimmen, wünschen. Nur eben nicht als letztverantwortliche Aufgabenträger und Finanzverantwortliche.

Warum organisieren wir Job-Center nicht als gemeinnützige GmbH – 51 % Anteil der Bundesagentur für Arbeit - und 49 % teilen sich die Landkreise und kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Verbandsgemeinden? Die Sozialämter der kreisangehörigen Gemeinden, Städte und Verbandsgemeinden werden Außenstellen für den „Verwaltungskram“ –Umgang mit den Arbeitslosen, Anträge entgegen nehmen, prüfen und bewilligen – die Kreise stellen zusammen mit den bisherigen Arbeitsbeschaffungsorganisationen das Personal im eigentlichen Job-Center – vermitteln, Arbeitsplätze schaffen, koordinieren und steuern.

Und auch im Übrigen bedarf Einiges der Prüfung. In einer Verbandsgemeinde gab es vor Einführung der Grundsicherung 100 Sozialhilfeempfänger – betreut im Wege der Delegation. Nach der Einführung der Grundsicherung gab es 119 Personen bzw. Fälle, davon 47 Fälle der Grundsicherung, die sich der Kreis vorbehielt – böse Zunge sagen, wegen der Unterschrift unter den Bewilligungsbescheid. Jedenfalls hätte die Verwaltungszuständigkeit auf die Ebene der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Verbandsgemeinden gehört.

So blieben dann noch 72 Sozialhilfefälle bei der Verbandsgemeinde. Davon sind geschätzt 46 erwerbsfähig – zuständig demnächst das Job-Center? Bleiben 26 Sozialhilfeempfänger von insgesamt 100 bei dieser Verbandsgemeinde (in der delegierten) Zuständigkeit. Ist das sinnvolle Verwaltungs- und Bürgerbetreuungsstruktur? Für 26 Fälle eine betreuende Verwaltung bei der Verbandsgemeinde, für 47 Fälle eine betreuende Verwaltung bei der Kreisverwaltung und für 46 Fälle eine betreuende Verwaltung beim Job-Center? Ist hier nicht viel mehr Zusammenarbeit, Koordinierung und gemeinsames Vorgehen notwendig, als der Kampf um die Zuständigkeit für das Bezahlen?

Und letztlich: Kann man wirklich heute, fünf Monate vor einer Kommunalwahl, für langfristige Beschlüsse über Zuständigkeiten für eine neue Aufgabe im Landkreisbereich eintreten, wenn man nicht weiß, wie hoch die Lasten (und die Kostenübernahme) sein werden? Derzeit erreichen uns Informationen, dass die von den Kommunen zu übernehmenden Wohnungskosten eher unter- als überschätzt worden sind. Deshalb: Zuerst verbindliche, belastbare Zahlen auf den Tisch.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 02/2004

Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied  des Gemeinde- und Städtebundes