Das große Würfelspiel


Da er sich insoweit nicht als Stellvertretender Landesvorsitzender einer Partei, sondern als Mitglied der Landesregierung und Stellvertretender Ministerpräsident geäußert hat, muss man eine solche Initiative und derartige Aussagen als wohl mehr oder weniger offiziell nehmen. Inwieweit es sich um Forderungen der Landesregierung insgesamt handelt, ließ sich bisher nicht feststellen.

Die wesentlichen Aussagen und Forderungen in diesem Gastbeitrag sind:

  1. „Das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetzespaket vom 19. Dezember 2003 …… löst …… die grundlegenden Probleme der Gemeindefinanzen nicht.“
    “ Notwendig ist jetzt eine wirkliche und umfassende Reform, an deren Ende niedrigere Verwaltungsausgaben und die Abschaffung der Gewerbesteuer stehen müssen.“
  2. „Um die verfassungsrechtlich garantierte Finanzautonomie der Kommunen wieder zu stärken, brauchen wir vielmehr ein kommunales Zuschlagsrecht zur Einkommen- und Körperschaftsteuer.“
    “ So manches zweifelhafte Prestigeobjekt würde unterbleiben, wenn dafür im Stadt- oder Gemeinderat höhere Einkommen- und Körperschaftsteuern beschlossen werden müssten.“
  3. „Der entscheidende Ansatz, um dauerhaft zu gesunden Gemeindefinanzen zu kom-men, ist aber die Ausgabenseite. Hierzu braucht es in erster Linie eine effiziente Verwaltung. Doppelte und dreifache Verwaltungsstrukturen, wie sie in Rheinland-Pfalz vielerorts auf engstem Raum existieren, sind auf Dauer unbezahlbar.““ Als erster Schritt ist daher eine Gebiets- und Verwaltungsreform nötig, um zu annä-hernd gleich großen Verwaltungseinheiten zu kommen.““ Mittelfristig muss zudem die Abschaffung der Verbandsgemeinden geprüft werden, die ja immer mehr zu reinen Verwaltungseinheiten degeneriert sind und ihre ur-sprünglichen Aufgaben zumeist längst erfüllt haben. Gleichzeitig würde die Abschaf-fung der Verbandsgemeinden die Ortsgemeinden stärken, was der Bürgernähe der kommunalen Verwaltung sicher zugute käme.“
  4. „Parallel ….müssen sehr viel stärker als bisher Privatisierungspotenziale auf der kommunalen Ebene genutzt werden. Vieles von dem, was die Kommunen bisher in Eigenregie meinen betreiben zu müssen, kann privatwirtschaftlich im Wettbewerb effizienter – und damit auch billiger – geleistet werden. Aber auch in die weiterhin kommunal geführten Unternehmen muss sehr viel stärker als bisher eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung Einzug halten.“

Neben den sattsam bekannten Forderungen, Behauptungen, Verdächtigungen und Vermutungen ist eines neu: Die Abschaffung der Verbandsgemeinden als Mittel zur Sanierung der Gemeindefinanzen.

Solche Äußerungen im Vorfeld einer Wahl – in Rheinland-Pfalz stehen Kommunalwahlen an – könnte man natürlich auch unter Wahlkampfgetöse ablegen. Allerdings empfiehlt sich aus der historischen Erfahrung der Vorgehensweise dieses kleineren Koalitionspartners Anderes. Was ist also an solchen Initiativen zu fürchten? Doch eigentlich nur, dass sie – unter Rheinland-Pfalz-Verhältnissen – vom „geborenen Koalitionspartner“ kommt – die Grünen mögen mir verzeihen. Morgen sagt der kleinere Koalitionspartner dem größeren Koalitionspartner – wer immer das nach der nächsten Landtagswahl ist –, was er zu denken und zu entscheiden hat, denn einvernehmliche, sichere, ruhige und verträgliche Koalitionsstrukturen sind zum Machterhalt wichtig.

Der Stellv. Ministerpräsident stellt die Kommunalverwaltungen in Rheinland-Pfalz, die qualitativ zur Spitzengruppe in der Bundesrepublik gehören, in Frage. Warum?

Der Stellv. Ministerpräsident stellt die Kommunalstrukturen, die Rheinland-Pfalz zu den Ländern mit der intensivsten kommunalpolitischen Durchdringung gemacht haben – bei uns gibt es mehr Ratsmitglieder, auch der FDP, als beispielsweise in Hessen – als überflüssig dar. Warum?

Der Stellv. Ministerpräsident ist der Meinung, dass die Kommunalstruktur, die in Rheinland-Pfalz eine flächendeckende, vergleichbare, relativ einheitliche kommunale Infrastruktur zur Folge gehabt hat, beseitigt werden muss. Warum?

Der Stellv. Ministerpräsident ist der Meinung, dass die Kommunalstruktur, die mit zu den höchsten Wahlbeteiligungen bei Kommunalwahlen in der Bundesrepublik führt, überholt ist. Warum?

Warum schlägt der Stellv. Ministerpräsident keine Aufgabenkritik, keine Zuständigkeitsdebatte für Aufgaben vor, bevor er pauschal die Überflüssigkeit bestimmter Verwaltungsstrukturen behauptet?

Weil man sich bei Aufgaben- und Zuständigkeitskritik mit den Bedürfnissen der Bevölkerung auseinandersetzen muss und das ist unangenehm. Bürger und Wirtschaft sind unmittelbar betroffen und sehen ihre Ansprüche, Dienstleistungen, Wünsche und Einrichtungen gefährdet. Wir sehen es in den letzten Monaten und Jahren an der Debatte über den Abbau von Standards (sonntags ja, alltags nie). Es ist einfacher, über Verwaltungsstrukturen zu philosophieren als über Maßnahmen zum nachhaltigen Abbau von Ausgabebelastungen der öffentlichen Hand.

Gibt es dringenden Handlungs- und Veränderungsbedarf, dringenden Reformbedarf (im kommunalen Bereich)? Und worin besteht er?

Natürlich muss öffentliche Verwaltung sich effizient und wirtschaftlich darstellen und natürlich müssen immer wieder Anstrengungen unternommen und Überlegungen angestellt werden, wie man Verwaltungsstrukturen schlanker, effizienter und damit bezahlbarer machen kann. Dabei ist es eine Illusion anzunehmen, die öffentliche Finanznot im Allgemeinen und die kommunale Finanznot im Besonderen seien auf die Verwaltungsstrukturen zurückzuführen.

Die Verwaltungsstrukturen im kommunalen Bereich in Rheinland-Pfalz – zumindest kann man das für die kreisangehörige Ebene im Allgemeinen und die Verbandsgemeindeebene im Besonderen in Anspruch nehmen – ist durchgängig effizient, soweit wie möglich ausgedünnt, arbeitet engagiert und nach wirtschaftlichen Kriterien. Der Personalbedarf von Verbandsgemeindeverwaltungen – angeblich degenerierte Verwaltungen -– ist bemessen auf der Grundlage von Empfehlungen und Vorgaben, die mit dem Rechnungshof Rheinland-Pfalz erarbeitet und abgestimmt sind. Ist das bekannt?

Die rheinland-pfälzische Kommunalverwaltung ist wesentlich stärker als in allen anderen Ländern schon seit Jahren und Jahrzehnten betriebswirtschaftlich durchdrungen. Rheinland-Pfalz ist bis heute das einzige Land geblieben, das beispielsweise flächendeckend für alle Betriebe der Ver- und Entsorgung ein betriebswirtschaftliches Rechnungswesen mit Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung fordert– und Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer, um dem Wirtschaftsminister Reverenz zu erweisen. Wie verfährt eigentlich das Land mit seinen Betrieben? Gab es dort nicht in den letzten Jahren immer wieder Schwierigkeiten bei der Umsetzung betriebswirtschaftlicher Strukturen in großen Landesbetrieben? Erfasst das nicht vielleicht auch die Landesbetriebe, die im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums liegen?

In Initiativen der vorliegenden Art kommt ein abgrundtiefes Misstrauen gegen Verwaltungsstrukturen – besonders gegen die Verbandsgemeinde – zum Ausdruck. Wie konnte bei unserem Stellv. Ministerpräsidenten ein solches Misstrauen in, durch oder wegen jahrzehntelanger Mitgliedschaft im Orts- und Verbandsgemeinderat entstehen?

Dabei wollen wir nicht vergessen: Die Verbandsgemeinde ist die unabdingbare Voraussetzung für den Erhalt von Ortsgemeindestrukturen. Wer die Verbandsgemeinde auflösen will, gibt die Ortsgemeinden auf und will zur Groß- und Einheitsgemeinde. Das ist in Rheinland-Pfalz schon einmal Anfang der 70er-Jahre gescheitert – und ob es heute dem Willen der Bevölkerung entspricht, kann man füglich hinterfragen.

Bezeichnenderweise gab es in derselben Zeitung, in der der Gastbeitrag unseres Stellv. Ministerpräsidenten erschien, am folgenden Tag einen Kommentar des zuständigen Redakteurs, der sicherlich nicht verdächtig ist, Interessensvertretung für den kommunalen Bereich zu sein. Darin heißt es: „Die Verbandsgemeinde ist also weit mehr als eine Verwaltungseinheit. Sie ist eine von zwei Säulen der kommunalen Selbstverwaltung – maßgeschneidert für den ländlichen Raum.“ Richtig, möchte man sagen, aber ob sich das schon herumgesprochen hat? Weiter heißt es in dem Kommentar: „Natürlich kann man die Verbandsgemeinde abschaffen. Aber dann muss man auch die Alternative nennen.“ Nochmals richtig, möchte man sagen. Und wo ist die Alternative?

Die Alternative ist ein Würfelspiel. Dazu gibt es von Zeit zu Zeit – vor einiger Zeit im „Trierer Volksfreund“, jetzt in der „Rhein-Zeitung“ – Gedankenspiele darüber, wie man denn eine Gebietsreform im kreisangehörigen Bereich neu gestalten könne. Die letzte Überlegung – in der „Rhein-Hunsrück-Zeitung“ vom 5.12.2003 veröffentlicht – enthält eine Darstellung, wie denn der Rhein-Hunsrück-Kreis wohl sinnvollerweise neu strukturiert werden könnte. Dazu gibt es ein Bild mit Würfeln. Auf diesen Würfeln sind die Wappen der kreisangehörigen Städte und Gemeinden angegeben und damit ist angedeutet, worauf eine Verwaltungsreform nach dem Modell, wie es jetzt vorgeschlagen wird, hinausliefe: Wir spielen „Mensch ärgere Dich nicht“ oder es wird geknobelt und das Ergebnis ist eine passende, gute, effiziente, nachvollziehbare und bürgernahe Verwaltungsstruktur. Wir hätten zumindest erwartet, dass wir ein Schachspiel wert gewesen wären.

Auch ein grundsätzlich tiefes Missverständnis dessen, was Verbandsgemeinden in Rhein- land-Pfalz eigentlich sein sollen, kommt in Diskussionen dieser Art zum Ausdruck. Die Ansätze in den Forderungen unseres Stellv. Ministerpräsidenten sind: „Mittelfristig muss zudem die Abschaffung der Verbandsgemeinden geprüft werden, die ja immer mehr zu reinen Verwaltungseinheiten degeneriert sind und ihre ursprünglichen Aufgaben zumeist längst erfüllt haben.“ Die Verbandsgemeinden als „degenerierte reine Verwaltungseinheiten“ – stimmt dieses Bild? Ist bekannt, dass nach § 67 GemO die Verbandsgemeinden auch „Gemeinden“ i.S. unseres Verfassungssystems sind? Ist bekannt, dass Verbandsgemeinden einen gewählten Verbandsgemeinderat haben – anders als Verwaltungsgemeinschaften, Ämter usw.? Ist bekannt, dass zu den Aufgaben der Verbandsgemeinden die Flächennutzungsplanung gehört, die Schulen, die überörtlichen Sport- und Sozialeinrichtungen, die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, teilweise die Kindergärten usw., usw.?

Was heißt denn in diesem Zusammenhang, dass Verbandsgemeinden „ihre ursprünglichen Aufgaben zumeist längst erfüllt haben“? Wurden die Verbandsgemeinden um 1970 als Bau- und Erstausstattungseinrichtungen geschaffen? Werden sie wie die Bauleitung beim Bau der Bundesautobahn oder einer Schienenstrecke aufgelöst, wenn die Baumaßnahmen abgeschlossen sind? Gibt es keine Notwendigkeit – abgesehen von der Verwaltung – öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu betreiben, Infrastruktur vorzuhalten, Personal zu beschäftigen, Bürgern die für das tägliche Leben notwendigen und erforderlichen Dienstleistungen vorzuhalten und zu besorgen?

Und ein letzter Hinweis auf andere Verwaltungsreformbemühungen im Lande: Im Landtag gibt es eine Enquête-Kommission, die den Zusatz „Kommunen“ trägt. In der Enquête-Kommission haben die aus der Wissenschaft kommenden Mitglieder gerade in den letzten Sitzungen nachgefragt, was denn mit Aufgabenkritik und Zuständigkeitsdebatte für den kommunalen Bereich sei, wenn man doch über den richtigen Zuschnitt kommunaler Körperschaften demnächst reden wolle. Sie bekamen aus der Politik keine Antwort.

In der nächsten Sitzung forderten die Vertreter der Regierungskoalition, man müsse nun endlich über die Stadt-/Umland-Probleme reden. Von Aufgabendiskussion und Zuständigkeitsdebatten war ebenfalls nicht die Rede.

Als der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes im letzten Jahr darüber geschrieben hat, dass die Verwaltungsreformbemühungen auf der Landesebene aus einer bloßen Veränderung von Behördenstrukturen (SGDs und ADD) ohne Aufgabenkritik und ohne Zuständigkeitsdebatte, insbesondere massive Verlagerung von Aufgaben von oben nach unten, bestanden hätten, wurde er umgehend aus der Staatskanzlei gerügt, dass man doch bitte den Diskussionen in der Enquête-Kommission nicht vorgreifen wolle und dass die Diskussion über Verwaltungsreform und Verwaltungsstrukturen im staatlichen Bereich beendet sei. Das ist mit Äußerungen des Stellv. Ministerpräsidenten natürlich anders.

Nur: Wird darüber auch einmal im Kabinett und in der Landesregierung geredet und entschieden, ob man denn auf einer solchen Grundlage Gebietsreform betreiben will? Und letztlich: Wollen wir wirklich Politik in dieser plakativen Form, einfach nur aus dem Gefühl einer offensichtlich unbefriedigenden Mitgliedschaft im Verbandsgemeinderat heraus? Für den kommunalen Bereich: Nein, danke.

Empfehlung für die Zeit bis zum 30. Juni 2004: Alle Kandidaten für Kommunalparlamente (besonders der Verbandsgemeinderäte) befragen, ob man die betreffende Verbandsgemeinde auflösen wolle und wohin die Bürger demnächst zur Verwaltung gehen sollen.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 01/2004

Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes