Ein Blick in die Zukunft: 100 Jahre Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Ein Blick in die Zukunft: 100 Jahre Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz

Der Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz feiert dieses Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Da lohnt sich ein Blick in die Zukunft. Wo stehen wir, wenn es den Verband einhundert Jahre gibt? Die gute Nachricht: Auch nach einhundert Jahren gibt es den Verband immer noch. Als politische Stimme, aber auch als Dienstleister für seine Kommunen hat er an zusätzlicher Bedeutung gewonnen. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel zwingen die Gemeinden in größerem Umfang als bisher, Dienstleistungen von ihrem Verband abzufordern. Darin liegt eine Chance, aber auch eine große Herausforderung!

Digitalisierung

In 25 Jahren sind alle Verwaltungsleistungen digitalisiert. Nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern die Daten laufen. Wie heute beim Online-Shopping auf den großen Plattformen kann man die Dienstleistungen – von der Anmeldung eines Kindes bis zur Beantragung eines Anwohnerausweises – digital anfordern. Der Publikumsverkehr in den Rathäusern hat sich deutlich reduziert. Im Vordergrund stehen im Rathaus die Beratungen und Hilfestellungen in schwierigen Fällen, die nicht digital abgebildet werden können. Auch die künstliche Intelligenz gehört zum Alltag. Das gilt nicht nur für einfache Vorgänge, wie zum Beispiel die Anmeldung eines Hundes für die Hundesteuer, sondern gilt auch im juristischen Bereich. Ein Großteil der notwendigen Bescheide, auch der Widerspruchsbescheide, erledigt die künstliche  Intelligenz, die alle aktuellen Rechtsprechungen berücksichtigt. Das wird auch notwendig sein, denn bei den Fachkräften werden auch die Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter fehlen. Wie bei Amazon wird der Grundsatz gelten: Heute beantragt, morgen der Bescheid im Briefkasten.

Den echten Schub hat die Digitalisierung dadurch erreicht, weil jede Bürgerin und jeder Bürger und die lokale Wirtschaft ein individuelles Nutzerkonto haben. Damit ist es gelungen, Missbrauch und Identitätstäuschungen weitgehend auszuschließen. Natürlich sind auch Ausweispapiere (Führerschein und Personalausweis) längst digitalisiert und können bei Nachfrage in einer App vorgezeigt werden. Selbstverständlich wird es auch in 25 Jahren noch Personen geben, die diese Systeme nicht beherrschen. Dafür wird es in den Rathäusern die entsprechende Beratung geben. Nach dem Lebenslagenprinzip erhalten die Menschen hier Unterstützung und Förderung. Mit der Digitalisierung kann der Fachkräftemangel teilweise kompensiert werden, auch mit der Folge, dass die Rathäuser und deren Neubauten an diesen Change-Prozess anzupassen sind. 

Nach zwei, drei weiteren Pandemien wird in den Verwaltungen wie auch in der Wirtschaft, soweit es um Dienstleistungsunternehmen geht, mobiles und flexibles Arbeiten, z.B. im Homeoffice, nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall sein. Damit wird sich zugleich das Verhältnis zwischen Stadt und Land verschieben. Viele Menschen werden gerne in den ländlichen, zum Teil auch abgelegenen Regionen leben, wenn sie nur gelegentlich zu ihrer Arbeitsstätte in den Metropolen fahren müssen. Zusätzlich wurden flächendeckend in den ländlichen Räumen Co-Working-Spaces bzw. Dorfbüros geschaffen, die ebenfalls die Verkehrsströme in den Ballungsräumen reduzieren. Mit der Verlagerung von Arbeit ins Homeoffice wird der für den Klimawandel dringend erforderliche Prozess der Dekarbonisierung und Reduzierung der Treibhausgase einen deutlichen Schub erlangen.

Rechtsansprüche

Rechtsansprüche auf einen Ganztagsplatz in der KiTa oder der Schule haben sich flächendeckend durchgesetzt. Die beruflichen Ansprüche und das Freizeitverhalten erfordern auch eine „Rundum-Betreuung“ der Kinder. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist damit weitgehend ermöglicht. Die Kommunen stehen in der Verpflichtung, dieses im 24-Stunden-Modus zu gewährleisten.

Energieversorgung

Nach der Gaskrise und dem Krieg von Russland gegen die Ukraine hat es einen gewaltigen Schub bei den alternativen Energien gegeben. In 25 Jahren erfolgt die Energieerzeugung in Rheinland-Pfalz ohne fossile Brennstoffe. Die entstandenen Notlagen haben den Druck so erhöht, dass der Widerstand gegen Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen deutlich zurückgegangen ist, und die Windenergieanlagen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind. Rheinland-Pfalz ist aufgrund der Expertise der Kommunen, die sich bereits heute dem Thema angenommen haben, zum Vorreiter in der  Wasserstoff-Technologie geworden. Dies alles zusammen hat zu einem wirtschaftlichen Aufschwung der ländlichen Räume geführt, denn dort stehen die Anlagen, dort findet die Wertschöpfung statt.

Klimaschutz und Klimaanpassung

Auch in 25 Jahren hat Deutschland wie die Welt insgesamt das 2-Grad-Ziel noch nicht erreicht. Vieles ist besser geworden, trotzdem steigen die Temperaturen. Hitze, Dürre, Waldbrände und Extremwetterlagen finden immer häufiger statt. In einem einmaligen Aufholprozess ist es gelungen, die Kommunen resilienter zu gestalten. Der Hochwasserschutz, aber auch die Optimierung  des Wassermanagements und die Vorsorge für mögliche Katastrophen haben einen hohen Stellenwert. Ein Ereignis wie die Katastrophe vom 14./15. Juli 2021 im Ahrtal mit den verheerenden Folgen und 138 Toten hat sich deshalb nicht wiederholt. Gleichwohl hat es immer wieder hohe Belastungen und Zerstörungen gegeben, auf die man aber professionell reagieren konnte. Auch die Menschen wissen um diese Gefahren und üben Eigenvorsorge.

Dem Wald wird eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Die Erkenntnis, dass ohne Wald die Klimaziele nicht zu erreichen sind, ist unumstritten. Das nachhaltige Produkt Holz erfährt größte Wertschätzung und wird wesentlicher Bestandteil beim Bauen. 

Fridays for Future und die Zukunft sichern

Die junge Generation hat den Älteren deutlich gemacht, dass ein „weiter so“ die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen erheblich beeinträchtigt. Die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die von den Vereinten Nationen 2015 verabschiedet wurden, sind jedem Kind bekannt und werden bei kommunalen Entscheidungen auf Konformität abgeprüft. Entsprechend werden Beschlüsse kommunaler Gremien mit einem Nachhaltigkeitszertifikat eingestuft, ehe diese ausgeführt werden können. Abweichungen davon sind anderweitig auszugleichen. 

Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement

Produktionsprozesse in der Wirtschaft sind beispielsweise durch den 3D-Druck weiter optimiert worden. Diese neue Wertschöpfung hat zu einer Reduzierung der Arbeitszeiten geführt. Dementsprechend haben die Menschen mehr Zeit. Sie haben durch die Krisen gelernt, welche Bedeutung auch für die eigene Person Hilfe und ehrenamtliches Engagement haben. Dementsprechend ist sowohl in der Kommunalpolitik wie auch in den Hilfsorganisationen ein neuer Schub von ehrenamtlich engagierten Menschen entstanden. Bund und Land haben diese Systeme durch ein Ehrenamtsgesetz gefördert. Bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst oder auch um einen Studienplatz sowie bei der Rente wird das ehrenamtliche Engagement, zum Beispiel bei der Feuerwehr oder anderen Einrichtungen, als Zusatzqualifikation verbindlich gewertet.

Orts- und Verbandsgemeinden als Erfolgsfaktor

Auch in 25 Jahren wird es die kleine Ortsgemeinde und die Verbandsgemeinde geben. Man hat erkannt, dass die Effektivität und die Bürgernähe nicht notwendigerweise von der Größe einer Verwaltung abhängen. Diese Entwicklung wurde durch die Digitalisierung begünstigt. Wenn Verwaltungsdienstleistungen in einem Backoffice konzentriert werden, können auch kleinere Einheiten gut und effektiv arbeiten. Es hat deshalb keine neue Gutachten- und Enquete-Kommission gegeben, wie man die Gemeindestrukturen neu aufstellen könnte oder sollte. Die interkommunale Zusammenarbeit blüht in allen erdenkbaren Bereichen.

Kommunalfinanzen

Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz vom 16.12.2020 wird das Land zum zweiten Mal wegen eines nicht verfassungskonformen kommunalen Finanzausgleichs (KFA) und über einen Zeitraum seit 2007 verurteilt. Auch in 25 Jahren gehört die Auseinandersetzung über den KFA zum Schwerpunkt der Arbeit des GStB. Der Konflikt zwischen den Ebenen um die Ressourcen ist nicht kleiner, sondern stärker geworden. Das gilt umso mehr, als vor dem Hintergrund des demografischen Wandels die Zahl der Rentnerinnen und Rentner deutlich zugenommen hat, was sich dann auch entsprechend auf die Steuereinnahmen auswirkt. Eine gewisse Abschwächung dieses Effekts hat stattgefunden. Die festen Altersgrenzen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst sind gefallen. Wer länger arbeiten möchte und der Arbeitgeber dem zustimmt, kann das tun. Die Wirtschaft und Verwaltungen haben längst den hohen Wert der Älteren mit Erfahrung erkannt und nutzen ihn. Es gibt eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen. In der Elternphase kann die Arbeit reduziert werden, später kann sie über die übliche Wochenstundenzahl erhöht sein. Nach langem Konflikt mit den Gewerkschaften ist auch das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöht worden.

Renaissance des Tourismus

Schon aus Umweltschutzgründen sind Fernreisen eher die Ausnahme geworden. Viele Menschen suchen einen Urlaubsort in ihrer Heimat. Rheinland-Pfalz mit seinen Städten und Gemeinden erlebt eine Renaissance des Tourismus. Neue Hotels, neue Einrichtungen entstehen und bieten den Menschen eine gute Erholung. Auch das trägt zu zusätzlicher Wertschöpfung bei. Und noch etwas hat sich in 25 Jahren gewandelt: Die Hälfte aller Führungsfunktionen in den Kommunen sind mit Frauen besetzt. Das hat der Kommunalpolitik gutgetan und die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern verbessert.

Entwicklungszusammenarbeit

Die Flüchtlingsströme werden nicht versiegen. Der Verteilungskampf um Wasser wird alle Kontinente betreffen und immer härter geführt werden. Wasser wird das neue Gold sein. Mangel an Lebensmitteln und lebensfeindliche Temperaturen zwingen die Menschen zum Verlassen der Heimat. Dem begegnen auch deutsche Kommunen mit einer intensiven interkontinentalen Entwicklungszusammenarbeit.

Ausblick 

Nicht jede Prophezeiung tritt ein, aber wir können mit großer Hoffnung auch in die langfristige Zukunft schauen und sind überzeugt, dass der Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz wie eh und je von seinen Mitgliedern gebraucht und gefordert wird.


Beitrag aus der Jubiläumsausgabe der Gemeinde und Stadt 2022

Dr. Karl-Heinz Frieden,
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz