Pflichtmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft wird gelockert (GuSt März 2013)

Pflichtmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft wird gelockert (GuSt März 2013)

Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 28.2.2013 mit breiter Mehrheit den als besonders eilbedürftig eingestuften „Gesetzentwurf zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drs. 17/12046) beschlossen. Ziel ist, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26.6.2012 in nationales Recht umzusetzen.

Im Bundesjagdgesetz soll § 6 a „Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen“ neu eingefügt werden. Die Vorschrift eröffnet Grundeigentümern, welche die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, unter strengen Voraussetzungen die Möglichkeit, über ein Antragsverfahren ihre Flächen zu befriedeten Bezirken erklären zu lassen. Auf diesen Flächen herrscht dann Jagdruhe, die Grundeigentümer gehören der Jagdgenossenschaft nicht mehr an. Von besonderer Bedeutung, gerade auch aus rheinland-pfälzischer Sicht, sind die flankierenden Regelungen zum Wildschadensersatz.

Zum Hintergrund

Nach den jagdrechtlichen Vorschriften (§ 9 Abs. 1 BJagdG, § 11 Abs. 1 LJG) gehören die Eigentümer von bejagbaren Grundflächen, die weniger als 75 Hektar im Zusammenhang umfassen, kraft Gesetzes einer Jagdgenossenschaft an. Eines formalen Eintrittsaktes bedarf es nicht, ein Austritt ist nicht möglich. Unabhängig vom individuellen Willen müssen die Eigentümer die Bejagung ihrer Grundflächen durch Dritte dulden. Die Pflichtmitgliedschaft (Zwangsmitgliedschaft) entzieht dem einzelnen Grundeigentümer die Entscheidung, ob auf seinem Grund und Boden die Jagd ausgeübt werden darf oder nicht. Auf diesem Wege stellt das deutsche Jagdrecht sicher, dass kleinere Flächen zu wildbiologisch sinnvollen Flächeneinheiten zusammengefasst werden und eine flächendeckende Bejagung erfolgen kann.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Urteil vom 26.6.2012 – 9300/07 –) sieht die mit der Pflichtmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft verbundene Verpflichtung des einzelnen Grundeigentümers, die Ausübung der Jagd durch Dritte auf seinem Grundstück trotz entgegenstehender ethischer Motive zu dulden, als Verletzung von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 (Schutz des Eigentums) der Europäischen Menschenrechtskonvention an. Die deutsche Rechtslage führt nach Feststellung der Großen Kammer zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Eigentums, die über eine dem Gesetzgeber zuzubilligende Inhalts- und Schrankenbestimmung hinausgeht. Die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen, also tiefen persönlichen Überzeugungen, könne auch nicht durch eine Entschädigungszahlung (Anspruch auf anteiligen Reinertrag) aufgewogen werden.

Die zuvor mit dem Sachverhalt befasste Kammer des Europäischen Gerichtshofs hatte hingegen in ihrer Entscheidung vom 20.1.2011 eine Konventionsverletzung verneint. Die Große Kammer bezieht sich auf frühere Verfahren gegen Frankreich und Luxemburg und sieht diese Entscheidungen als auf das deutsche Jagdrecht übertragbar an.

In der deutschen Rechtsprechung ist die diesbezügliche Klage des Mitglieds der Jagdgenossenschaft Langsur (Kreis Trier-Saarburg) vom VG Trier (Urteil vom 14.1.2004 – 2 K 1182/03 –), vom OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13.7.2004 – 8 A 10216/04 –) sowie vom BVerwG (Urteil vom 14.4.2005 – 3 C 31/04 –) abgewiesen worden. Das BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 13.12.2006 – 1 BvR 2084/05 –) sieht in den entsprechenden Vorschriften des Bundesjagdgesetzes eine verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

Durchgängiger Tenor deutscher Gerichte ist, dass in der Abwägung die Ziele des Gemeinwohls höher zu gewichten sind als die Beeinträchtigungen des einzelnen Eigentümers. Die flächendeckende Bejagung sei durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt und berücksichtige auch den Schutz der Rechtsgüter aller anderen Jagdgenossen. Ein angemessener Ausgleich für die Einschränkung des Eigentums bestehe in den Mitwirkungsrechten in der Jagdgenossenschaft sowie im Anspruch des Jagdgenossen auf anteiligen Reinertrag der Jagdnutzung.

Zielsetzung des Gesetzgebungsverfahrens und Lösungsansatz

Die Bundesrepublik Deutschland hat als Unterzeichnerstaat der Menschenrechtskonvention die Pflicht, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umzusetzen und eine konventionskonforme Rechtslage herzustellen. Dies soll als bundesweit einheitliche Lösung über eine Änderung des Bundesjagdgesetzes erfolgen. Die Agrarministerkonferenz verständigte sich im September 2012 auf eine zügige und auf das notwendige Maß beschränkte Gesetzesnovellierung. Grundsätzlich wird dabei am System der Jagdgenossenschaften, am Reviersystem und an der flächigen Bejagung als Grundpfeilern des deutschen Jagdrechts festgehalten.

Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 GG treten Bundesgesetze auf dem Gebiet des Jagdwesens frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft. Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen. Im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht geht das jeweils spätere Gesetz vor.

Im Bundesjagdgesetz wird § 6 a „Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen“ neu eingeführt. Die Vorschrift soll inhaltlich an die bereits bestehenden Regelungen über befriedete Bezirke anknüpfen, in denen die Jagd ruht (§ 6 BJagdG, § 8 Abs. 1 LJG). Befriedete Bezirke kraft Gesetzes sind insbesondere Gebäude, Hofräume, Hausgärten und Friedhöfe. Der Differenzierung zwischen bejagbaren Flächen und befriedeten Bezirken kommt im gemeinschaftlichen Jagdbezirk erhebliche Bedeutung zu:

  • Die Eigentümer befriedeter Bezirke gehören der Jagdgenossenschaft nicht an (§ 9 Abs. 1 BJagdG, § 11 Abs. 1 LJG). Sie haben daher weder Einflussmöglichkeiten auf die Wahrnehmung des Jagdrechts durch die Jagdgenossenschaft (§ 10 Abs. 4 LJG, § 12 Abs. 1 LJG) noch Anspruch auf anteiligen Reinertrag der Jagdnutzung (§ 12 Abs. 2 LJG).
  • Die Eigentümer befriedeter Bezirke haben keinen Anspruch auf Wildschadensersatz (§ 39 Abs. 5 LJG).
  • Befriedete Bezirke sind Bestandteile des gemeinschaftlichen Jagdbezirks. Bei der Berechnung der Mindestgröße sind sie mitzuzählen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 LJG).
  • Bei der Jagdverpachtung im Wege der öffentlichen Ausbietung muss in der Bekanntmachung die Größe des Jagdbezirks und die Größe der insbesondere durch Befriedung nicht bejagbaren Flächen enthalten sein (§ 10 LJGDVO).
  • Für befriedete Bezirke wird im Regelfall keine Jagdpacht gezahlt. Die Pachtzahlung des Jagdpächters bezieht sich nach der vertraglichen Gestaltung üblicherweise auf die bejagbaren Flächen des Jagdbezirks.
  • Wer vorsätzlich in befriedeten Bezirken die Jagd ausübt, handelt ordnungswidrig (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 LJG).

Die Abgrenzung der bejagbaren Flächen von den befriedeten Bezirken ergibt sich aus dem Jagdkataster (Grundflächenverzeichnis), das die Jagdgenossenschaft für den gemeinschaftlichen Jagdbezirk anzulegen und zu führen hat.

Im Gesetzgebungsverfahren wird ferner die Strafvorschrift der Jagdwilderei (§ 292 StGB) an die im Bundesjagdgesetz neu geschaffene Befriedung aus ethischen Gründen angepasst. Damit soll sichergestellt werden, dass ein Betreten dieser befriedeten Grundflächen, die in der Natur kaum als solche erkennbar sind, für die im Jagdbezirk zur Jagdausübung befugten Personen keine Strafbarkeit nach sich zieht.

Die Vorschrift des § 6 a BJagdG eröffnet Grundeigentümern, welche die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, unter strengen Voraussetzungen die Möglichkeit, über ein Antragsverfahren ihre Flächen zu befriedeten Bezirken erklären zu lassen. Nachfolgend werden die maßgeblichen Regelungen des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 17/12046) vorgestellt. Die in der Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drs. 812/12) vorgesehenen Änderungen sind seitens der Bundesregierung abgelehnt worden (BT-Drs. 17/12302).

Voraussetzungen der Befriedung aus ethischen Gründe

Die Möglichkeit einer Befriedung aus ethischen Gründen besteht bei Grundflächen, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören oder einem Eigenjagdbezirk kraft Gesetzes oder aufgrund behördlicher Entscheidung angegliedert sind. Bei Eigenjagdbezirken ist die Befriedungsmöglichkeit hingegen nicht gegeben.

Für die Befriedung eines Grundstücks aus ethischen Gründen ist ein Antrag erforderlich, der schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde gestellt werden muss. Zuständige Behörde ist die untere Jagdbehörde. Antragsberechtigt sind nur natürliche Personen, da die Ablehnung der Jagd aus ethischen Gründen Ausdruck einer persönlichen Überzeugung und Gewissensentscheidung ist. Daher besteht für juristische Personen keine Möglichkeit einer derartigen Befriedung ihrer Grundflächen. Im Falle von Mit- oder Gesamthandseigentum mehrerer natürlicher Personen muss der Antrag von allen Eigentümern gestellt und begründet sein.

Die ethischen Motive sind glaubhaft zu machen. Ihre bloße Behauptung reicht nicht aus. Die Glaubhaftmachung kann durch jedes Beweismittel, auch durch eidesstattliche Versicherung, erfolgen. Ethische Gründe sind nicht anzuerkennen, wenn objektive Umstände vorliegen, die im Widerspruch zu der vom Antragsteller geltend gemachten Motivation stehen. Regelbeispiele diesbezüglich sind Fälle, in denen der Antragsteller die Jagd selbst ausübt oder Inhaber eines gültigen Jagdscheins ist.

Hat der Antragsteller ethische Gründe für die Ablehnung der Jagd glaubhaft dargelegt, ist sein Interesse an einer Befriedung der Grundfläche mit den Belangen des Gemeinwohls sowie den geschützten Interessen Dritter abzuwägen. Dabei geht es u.a. um die Belange des Schutzes der Land- und Forstwirtschaft vor übermäßigen Wildschäden sowie um die Belange des Schutzes vor Tierseuchen.

Der Entscheidung über den Antrag auf Befriedung aus ethischen Gründen hat seitens der unteren Jagdbehörde eine Anhörung der Betroffenen vorauszugehen. Der Kreis der Anzuhörenden umfasst, neben dem Antragsteller, regelmäßig die betroffene Jagdgenossenschaft und den betroffenen Jagdpächter, die angrenzenden Grundeigentümer, den Jagdbeirat bei der unteren Jagdbehörde sowie die berührten Träger öffentlicher Belange (insbesondere Forst-, Landwirtschafts- und Naturschutzbehörden, Straßenverkehrsbehörden, Hegegemeinschaften).

Zeitpunkt, Umfang, Erlöschen und Widerruf der Befriedung

Die Befriedung erfolgt mit Wirkung zum Ende des Jagdpachtvertrages, da sie eine Veränderung der ursprünglichen Geschäftsgrundlage des Pachtverhältnisses beinhaltet. Auswirkungen auf die Höhe des Pachtpreises und auf die Regelungen zum Wildschadensersatz können sich ergeben. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings die regelmäßig bestehende mehrjährige Pachtdauer.

Sofern dem Antragsteller ein Wirksamwerden der Befriedung zum Vertragsende unter Abwägung mit den schutzwürdigen Belangen der Jagdgenossenschaft nicht zuzumuten ist, kann die untere Jagdbehörde ein früheres Wirksamwerden bestimmen, jedoch nicht vor Ende des Jagdjahres. In diesem Fall kann die Jagdgenossenschaft vom Antragsteller den Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch eine vorzeitige Befriedung entsteht (z.B. im Gefolge einer Anpassung des laufenden Jagdpachtvertrages).

Die Befriedung kann seitens der Behörde räumlich auf einen Teil der Antragsfläche sowie zeitlich beschränkt werden, soweit dies zur Wahrung der Belange des Gemeinwohls und der geschützten Interessen Dritter erforderlich ist.

Da die Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen eng mit der Person des jeweiligen Eigentümers und dessen persönlicher Einstellung zur Jagd verbunden ist, kommt es zu einem Erlöschen der Befriedung, wenn der Eigentümer wechselt (insbesondere durch Tod und Erbfolge oder durch Veräußerung des Grundstücks). Die Befriedung geht demgemäß nicht auf den neuen Eigentümer über. Eine Karenzzeit von drei Monaten soll der Rechtssicherheit dienen. Der neue Eigentümer kann eine erneute Befriedung beantragen.

Ferner hat die zuständige Behörde die Möglichkeit, die Befriedung zu widerrufen. Dies ist zwingend, wenn der Eigentümer im Widerspruch zu den bei der Antragstellung vorgebrachten ethischen Motiven handelt.

Beschränkte Jagdausübung und Wildfolge auf der befriedeten Grundfläche

Die untere Jagdbehörde kann eine beschränkte Jagdausübung auf den für befriedet erklärten Grundflächen anordnen, soweit dies u.a. zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden oder zur Gewährleistung der Sicherheit des Verkehrs auf öffentlichen Verkehrswegen erforderlich ist. Widerspruch und Klage gegen eine behördlich angeordnete Bejagung haben mit Rücksicht auf die vorrangigen Allgemeinwohlbelange keine aufschiebende Wirkung. Kommt der Grundeigentümer der Anordnung nicht nach, kann die zuständige Behörde für dessen Rechnung die Jagd ausüben lassen. In Ergänzung und in Anlehnung an die Vorschrift des § 27 BJagdG (§ 38 LJG) wird ein behördliches Einschreiten auch bei Grundflächen, die aus ethischen Gründen befriedet sind, ermöglicht.

Hinsichtlich der Wildfolge geht es um die Fallkonstellation, dass krank geschossenes, schwer krankes oder schwer verletztes Wild innerhalb des gemeinschaftlichen Jagdbezirks auf eine aus ethischen Gründen befriedete Grundfläche wechselt. Die Verfolgung des Wildes wird ermöglicht, um es vor vermeidbaren Schmerzen und Leiden zu bewahren. Der Eigentümer des für befriedet erklärten Grundstücks ist über die Notwendigkeit der Wildfolge, soweit Belange des Tierschutzes nicht entgegenstehen, bereits vor Beginn der Wildfolge unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Eine schriftliche Wildfolgevereinbarung gemäß § 22a Abs. 2 BJagdG (§ 35 Abs. 3 LJG) ist im Unterschied zur Wildfolge in einen fremden Jagdbezirk nicht erforderlich.

Das Recht zur Aneignung des Wildes steht sowohl bei der behördlich angeordneten Jagd als auch bei der Wildfolge dem Jagdausübungsberechtigten des Jagdbezirks zu.

Wildschadenshaftung des Eigentümers der befriedeten Grundfläche

Der Grundeigentümer der aus ethischen Gründen befriedeten Fläche hat keinen Anspruch auf Ersatz von Wildschäden. Die Vorschrift dient der Klarstellung, denn bereits nach geltendem Recht gehören Eigentümer befriedeter Flächen, auf denen die Jagd ruht, der Jagdgenossenschaft nicht an. Als Geschädigte haben sie keinen gesetzlichen Anspruch auf Wildschadensersatz.

Flankierend sieht der Gesetzentwurf allerdings die Haftung des Grundeigentümers für Wildschäden vor, die außerhalb seiner aus ethischen Gründen befriedeten Fläche im Jagdbezirk entstehen. Der Eigentümer der befriedeten Grundfläche wird anteilig an der Haftung für Wildschäden im gemeinschaftlichen Jagdbezirk beteiligt. Mit der Befriedung aus ethischen Gründen wird die Solidargemeinschaft durchbrochen, da auf der befriedeten Fläche die Jagd nicht mehr regulierend und schadensmindernd ausgeübt werden darf. Denkbar ist, dass ein Rückzugsgebiet für das Wild entsteht und ein Populationsanstieg eintritt. Die Ausübung von großräumigen, besonders effektiven Bewegungsjagden mit Hunden wird erschwert. In der Folge kann, insbesondere durch Schalenwild, das Risiko von Wildschäden auf den Flächen der Grundstücksnachbarn, die einer Jagdausübung positiv gegenüberstehen, steigen.

Eine anteilige Haftung des Eigentümers der Grundfläche für Wildschäden kommt nicht in Betracht, sofern das schädigende Wild auf der befriedeten Grundfläche nicht vorkommt oder der Schaden auch ohne die Befriedung der Grundfläche eingetreten wäre. Nach zivilprozessrechtlichen Grundsätzen liegt die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Eigentümer der Fläche und nicht beim Geschädigten.

Bewertung aus Sicht des Gemeinde- und Städtebundes

Die Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen ist aus Sicht des Gemeinde- und Städtebundes vor dem Hintergrund zu sehen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd einem zunehmenden Erosionsprozess unterliegt und zumindest Teile der Öffentlichkeit diesbezüglich eine kritische bis ablehnende Haltung einnehmen. Daneben wächst, gerade auch in Rheinland-Pfalz, mit den unkalkulierbarer werdenden Wildschadensrisiken das Interesse, aus monetären Gründen die Solidargemeinschaft „Jagdgenossenschaft“ zu verlassen.

Wird heute in Jagdpachtverträgen vermehrt eine Deckelung des Wildschadensersatzes vereinbart, sind Ansprüche nur so lange gegen den Jagdpächter geltend zu machen, bis die Übernahmesumme erreicht ist. Darüber hinausgehende Ansprüche richten sich im gemeinschaftlichen Jagdbezirk gegen die Jagdgenossenschaft, die insoweit die finanziellen Risiken trägt. Stehen der Jagdgenossenschaft zur Abdeckung der Wildschadensersatzpflicht keine ausreichenden Kassenmittel zur Verfügung, ist die Schadensumme im Innenverhältnis auf die Jagdgenossen umzulegen (§ 29 Abs. 1 BJagdG, § 39 Abs. 1 LJG).

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt nach Einschätzung des Gemeinde- und Städtebundes das grundlegende Dilemma, mit dem die nationale Umsetzung der europäischen Entscheidung verbunden ist. Auf der einen Seite soll die Befriedung aus ethischen Gründen über den etablierten Ansatz des befriedeten Bezirks möglichst „geräuschlos“ gelöst werden, auf der anderen Seite sollen die Voraussetzungen einer Befriedung bewusst streng formuliert sein. Im Ergebnis ist ein eigener, überaus komplexer und aus zehn Absätzen bestehender Paragraph entstanden, der ausschließlich den neuen Typus des befriedeten Bezirks regelt und dabei hohe (im Einzelnen vielleicht auch unangemessen hohe) Hürden aufbaut.

Der entscheidende Nachteil dieser punktuellen, anlassbezogenen Ergänzung des Bundesjagdgesetzes ist, dass die Grundsystematik jagdrechtlicher Vorschriften durchbrochen wird. Ein markantes Beispiel: Eine Haftung der Eigentümer befriedeter Bezirke für Wildschäden im gemeinschaftlichen Jagdbezirk kennt das Jagdrecht – aus guten Gründen – bislang nicht. Aber auch im Verhältnis zum Landesjagdgesetz treten Widersprüche auf. So regelt beispielsweise § 35 Abs. 5 LJG bereits die Wildfolge in befriedeten Bezirken und trägt dem derzeit uneingeschränkt geltenden Grundsatz Rechnung, dass hier dem Grundeigentümer das Aneignungsrecht von Wild zusteht, da kein vom Jagdrecht getrenntes Jagdausübungsrecht besteht.

Zu beachten ist ferner, dass heute vielfach Grundeigentümer und Bewirtschafter nicht mehr identisch sind. Der Nutzungsberechtigte (Landpächter) verliert bei einer Befriedung aus ethischen Gründen seinen Wildschadensersatzanspruch, da sich dieser vom Grundeigentümer ableitet. Im laufenden Landpachtvertrag stellt sich insoweit die Frage nach einer Haftung des Grundeigentümers, der die Befriedung selbst veranlasst hat.

Ausblick

In der Konsequenz wird künftig jagdrechtlich (und auch bei der Anwendung von § 292 StGB) zwischen befriedeten Bezirken „alter Art“ und befriedeten Bezirken aus ethischen Gründen unterschieden werden müssen. Schon allein diese Differenzierung, der insbesondere bei der Wildschadenshaftung praktische Relevanz zukommt, erschwert die Aufgabenerfüllung der Jagdgenossenschaften und führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Streitigkeiten. Die im Gesetzentwurf angesprochene fehlende Kausalität zwischen Befriedung aus ethischen Gründen und Schadenseintritt dürfte seitens des Eigentümers kaum belegbar sein, allenfalls mit aufwendigen Gutachten.

In jedem Fall wächst die Bedeutung eines vollständigen und aktuellen Jagdkatasters, das seitens jeder Jagdgenossenschaft anzulegen und zu führen ist. Der Gemeinde- und Städtebund hat über den Fachbeirat „Forst und Jagd“ die Entwicklung des elektronischen Jagdkatasters ARTEMIS initiiert, das eine praktikable und kostengünstige Lösung darstellt (http://artemis.o-s-k.de).

Ob das Land Rheinland-Pfalz von einer abweichenden Regelung gemäß § 72 Abs. 3 GG Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten. Dafür spricht, dass der eingeschlagene Weg einer eigenständigen und umfassenden Kodifizierung des Jagdrechts (mit Ausnahme der Jagdscheine) konsequent fortgesetzt würde und Widersprüchlichkeiten zu landesrechtlichen Regelungen aufgelöst werden könnten. Dagegen spricht, dass es zweckmäßig sein dürfte, zunächst die Umsetzungserfahrungen der zuständigen Jagdbehörden und wohl auch die Festlegungen der Verwaltungsgerichte abzuwarten.

Welche praktischen Folgewirkungen die gesetzliche Neuregelung hervorruft, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschätzen. In jedem Fall ist von wachsender Bedeutung, dass die Jagdausübung als naturnahe und nachhaltige Nutzungsform eine breite bzw. breitere Akzeptanz in der Gesellschaft findet. Dieser Herausforderung müssen sich vornehmlich und gleichermaßen die Grundeigentümer und die Jäger stellen.


Autor: Dr. Stefan Schaefer
Referent im Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz